In den österreichischen Justizanstalten werden Gruppengespräche angeboten. In diesen sollen Insassinnen und Insassen lernen Probleme gemeinsam zu lösen. „Group Counselling“ ist dabei äußerst erfolgreich.
Nach der Arbeit haben auch Insassinnen und Insassen in den Justizanstalten Österreichs Freizeit. Manche setzen sich dann freiwillig mit Justizwachebeamtinnen und -beamten zusammen, und zwar um zu reden. Hauptthema dieser Gesprächsrunde: Ängste, Sorgen und Probleme der Insassinnen und Insassen. „Wir lösen nicht Probleme der Insassinnen und Insassen, wir bieten eine Plattform für die – von uns ausgewählten – Insassinnen und Insassen, die sich nach ihrer Arbeitszeit zusammensetzen können, über ihre Probleme sprechen können, um mit uns allen gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten.“ So fasst Abteilungsinspektor Erwin Gindler, Justizwachebeamter und Group Counsellor die Arbeit zusammen. Natürlich könne man für manche Probleme vorgefertigte Lösungen verordnen, aber: „Vorgefertigte Lösungen helfen in diesen Fällen oft nicht, sondern nur die, die die Insassinnen und Insassen selber erarbeitet haben. Lösungen heißt bei unserem Klientel nicht, wer der Stärkere, die Größte oder der Dominanteste ist, sondern der- oder diejenige, der oder die eine Lösung findet, und diese den anderen vermitteln und schmackhaft machen kann. Sie lernen miteinander anders umzugehen und dass die eigene Sichtweise durchsetzen wollen oft die schlechtere Lösungsmöglichkeit ist.“
Probleme benennen lernen
Die größte Hürde für Insassinnen und Insassen zu Beginn ist überhaupt das Ansprechen von Problemen. Gindler: „Ein Großteil der Insassinnen und Insassen – ohne jetzt verallgemeinern zu wollen – sind solche Zugänge nicht gewohnt. Sie haben oft nicht gelernt den Satz ‚ich habe ein Problem‘ zu sagen, ein Problem zu artikulieren, mehrere Lösungsansätze zuzulassen, Sichtweisen zu wechseln, sich damit auseinandersetzen und durchzuprobieren. Diesen Umgang miteinander muss man oft erst erlernen und erleben. Sowas funktioniert nie auf Anhieb. Sie lernen oft erst hier, dass ein Problem besprechen, sich etwas von der Seele reden, hilfreich ist. Zudem ist Wertschätzung als Basis wichtig: Begrüßen, verabschieden, Bitte oder Danke sagen, verbindlich teilnehmen.“
Die Teilnahme an den Gruppengesprächen ist freiwillig. Niemand wird dazu gezwungen. Auch die Justizwachebeamtinnen und -beamte machen diese Runden außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit in Zivilkleidung. Zumeist wird man zur Gruppe eingeladen, beispielsweise weil die Gruppenmitglieder jemanden vorschlagen, oder weil eine Beamtin oder ein Beamter der Justizwache, eine Betriebsleiterin oder -leiter, eine Abteilungskommandantin oder -kommandant oder auch ein Fachdienst eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorschlägt. Auch im Hochsicherheitstrakt – etwa in der Justizanstalt Stein – wird mittlerweile Group Counselling angeboten. Im Maßnahmenvollzug wird diese Form des Gesprächs ebenfalls schon seit geraumer Zeit eingesetzt.
Unterschied zu Therapien
Die Gruppengespräche sind nicht mit psychologischer Therapie zu verwechseln. Auch in dieser Betreuung sind Gruppentherapien üblich. Aber: „Da ist das Ziel ein anderes. Da werden nicht Lösungen der aktuellen Alltagsprobleme gesucht, sondern da geht es über die Haft hinaus. Da will man Grundstörungen bearbeiten, da geht es um die Behandlung klinisch-psychologischer Krankheitsbilder, die auch zu einer bedingten Entlassung führen können, um sie danach weiter zu betreuen. Diese Therapien sind verordnet.“
Die Insassinnen und Insassen haben rein vollzugstechnisch nichts von einer Teilnahme am Group Counselling. Sie werden dadurch nicht begünstigt, keinen Tag früher entlassen. Sie lernen aber, dass sie selbst etwas davon haben, es erleichtert das Leben innerhalb der Haft, es geht um das Miteinander innerhalb der Justizanstalt. Group Counselling ersetzt keine Therapie und ist auch keine Therapie. Die Teilnahme ist freiwillig, es werden natürlich viele Themen, die außerhalb der Justizanstalten liegen, besprochen, etwa familiäres, Erlebnisse bei einem Freigang etc.
Weniger Probleme durch Gruppengespräche
„Wir vereinen in diesen Gruppen verschiedenste Nationen, Religionen, Altersgruppen und im günstigsten Fall auch verschiedene Geschlechter. Letzteres hat länger gedauert dies durchzusetzen. Da gab es Vorurteile, aber es funktioniert sehr gut, wo es uns möglich ist“, so Erwin Gindler, und weiter: „Wir sind ein Teilbereich der inneren Sicherheit. Wir haben festgestellt, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesen Gruppen nie bei gröberen Problemereignissen geschweige denn Aufständen oder Revolten teilnehmen. Sie sind aber sehr oft beim Formulieren von Veränderungswünschen beteiligt, beim Formulieren von Petitionen, beim konstruktiven Einbringen und Mitarbeiten im Vollzug.“
Im Jahr 2020 wird das Angebot des Gruppengesprächs 50 Jahre jung. Zur Zeit sind 110 besonders ausgebildete und laufend geschulte Vollzugsbedienstete als Group Counsellors tätig, wobei der Frauenanteil 26% beträgt. Group Counselling ist grundsätzlich ein Angebot der Justizwache, es sind aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachdienste eingeladen.
Auf die Qualitätssicherung wird geachtet. Die Beamtinnen und Beamte, die Group Counselling betreuen, müssen bestimmte Standards, wie etwa Supervision, Häufigkeit und Frequenz der Gruppensitzungen und laufende Weiterbildung erfüllen, um eine Counselling-Gruppe leiten zu dürfen.
Foto: klaus klingberg / pixelio.de